|
Didaktik - Konstruktivismus - Piaget
Der Schweizer Biologe und Psychologe Jean Piaget
bezeichnet seine Erkenntnistheorie als „konstruktivistisch“ (im Unterschied
zu „realistisch“) und viele Konstruktivisten berufen sich auf seine
Forschungen. E.v. Glasersfeld , der sich jahrelang intensiv mit den
Veröffentlichungen des Schweizers beschäftigt hat, bezeichnete Piaget als „Pionier
der konstruktivistisch orientierten Kognitionsforschung“, der erste in unserem
Jahrhundert, der Wissen als Konstruktion betrachtete. Der Konstruktivismus
Piagets lässt sich vereinfacht an der Begriffskette Assimilation - Störung -
Akkomodation - Äquilibration erläutern. Assimilation ist ein Erkenntnisvorgang, durch den der
Mensch Wirklichkeit in sein kognitives System integriert. Assimilation ist aber
nicht nur die Einverleibung der Umwelt in den Organismus, sondern der
assimilierte, angleichende Umgang mit Neuem. Das Neue wird mit dem Bekannten,
dem vorhandenen Wissen verknüpft. Durch Assimiliation wird Neues gleichsam „biographisch
synthetisiert“ (Ziehe, 1982), damit aber auch in vorhandene Deutungsmuster
eingefügt. Anlass für Lernprozesse sind Störungen. Gelingt es
nicht, das Neue in das vorhandene System zu assimilieren, so liegt das Neue
gleichsam quer zu dem Bekannten, so wird das Gleichgewicht gestört. Solche
Störungen werden auch als „Perturbationen“ bezeichnet (vgl. Maturana,
Varela). Die Störung kann erfreulich oder unerfreulich, überraschend oder
erwartet sein. Wird die Störung als relevant und nicht als gleichgültig
wahrgenommen, so kann daraus eine Korrektur der Wahrnehmungsmuster und
Handlungsschemata resultieren. In diesen Fällen wird gelernt, es fand eine
Akkomodation statt. Auslöser von lernrelevanten Störungen und entsprechenden
Akkomodationen sind vor allem symbolische Interaktionen mit anderen. Ziel des akkomodierenden Lernens ist eine
Äquilibration, eine Homöostase, ein psychosoziales und kognitives
Gleichgewicht. Kognitive Entwicklung ist darum an erweiterte Äquilibration
gebunden. Damit meint Piaget die Erweiterung des Bereiches jener Störungen, die
ein Organismus zu eliminieren vermag, d.h. die kognitiv zu verarbeiten sind. Das
Bedürfnis des Menschen, durch Assimilation und Akkomodation zwischen sich und
der Umwelt ein Gleichgewicht herzustellen, bezeichnet Glaserfeld als den
Instrumentalismus Piagets und verbindet damit seinen Begriff der Viabilität:
Nicht Wahrheit als Korrespondenz mit ontologischen Realitäten ist Zweck des
Erkennens, sondern „Viabilität in der Erfahungswelt“. Viabiltät ist auf konkrete Kontexte bezogen. Und so
sind auch kognitive Operationen kontextabhängig. Der Transfer, die Übertragung
einer Fähigkeit auf neue Situationen, ist ein schwieriger Prozess. Diese
Kontextabhängigkeit wird durch neue Kognitionsforschungen bestätigt:
mathematische Berechnungen, die in der Schule geübt werden, können nicht ohne
weiteres auf Alltagssituationen übertragen werden - und umgekehrt. Die Berührungspunkte der Kognitionstheorie Piagets mit
dem Konstruktivismus sind folgende: Piaget betont die ontogenetische Dimension menschlicher
Kognition, er unterscheidet entwicklungspsychologische Phasen des Erkennens.
Allerdings untersucht er vor allem die kognitive Entwicklung im Kindesalter. Die
Veränderungen der Wirklichkeitskonstruktionen im Erwachsenenalter sind
demgegenüber kaum systematisch erforscht worden. Im Unterschied zu dem
radikalen Konstruktivismus unterstellt Piaget eine prinzipielle Übereinstimmung
von Realität und Erkenntnis; er behauptet also nicht eine grundsätzliche „kognitive
Unzulänglichkeit“ der Welt. Literatur:
< zurück |
Copyright 2000-2005 Gaby Heintz